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mutek

montreal - kanada

03.06.2010

[anm.d.red.:
1. Bild, das; -[e]s, -er [mhd. bilde = bild, gestalt, ahd. bilidi = nachbildung, abbild; gestalt, gebilde
2. bei szenemag für gewöhnlich ohne nachbearbeitung in "reinform". keine verwendung von farb- oder sonstigen filtern, keine manipulation, what you see is what you get! evtl. zu sehende verformungen und lichteffekte entstehen ausschließlich auf grund der gegebenheiten vor ort sowie ggf. unter verwendung eines konventionellen fotoblitzes.
3. die umrandeten fotos sind mit groß-formaten hinterlegt. auf wunsch
mailen wir euch auch gerne die original-größen.]

sandra macht sich viel arbeit ihren reviews, da verzeihen wir gerne, dass wir nicht - wie sonst - tagaktuell sind. hier teil 2 der kanadischen berichterstattung!

"...

Wir sind Mutek - MUTEK 2010 - Tag 2

Bei leider nicht mehr so ganz sommerlichen Temperaturen und leichtem Nieselregen, aber noch mit den Latino Rhytmen des Vortages in den Gehoergaengen, machte ich mich auf in Kampf zum 2. Tag des MUTEK Festivals. Vollster Motivation durch einen sehr gelungenen Vortag gings nun direkt zum Monument National und somit zur A/VISIONS 2 - THE CULT OF LONGER MEMORIES.

Die Protagonisten an diesem Abend:

FREIDA ABTAN - THE CARETAKER - NURSE WITH WOUNDS

Leider durfte man bei den A/VISIONS eigentlich nicht fotografieren und von dem her gibt's leider heute keine Bilder, dafuer mehr Bericht :

Dem fuer heute anberaumten sehr experimentellen Showcase fehlte es ein wenig an der Leichtigkit des am Vortag erlebten. Das ganze war beabsichtigt und erwartet denjenigen gewidmet, dich sich im Vorfeld mit den Kuenstlern befassten. Wurde am vorherigen Tag noch mit dem Publikum gescherzt, so wurde heute zum Teil die Durchhaltefaehigkeit des ein oder anderen Zuschauers durch die mehr duesteren Soundgeflechte auf die Probe gestellt. Manch einer genehmigte sich ein kleines Disko Nickerchen oder verliess ganz und gar den Saal. Ich habe meinerseits die ganzen Darbeitungen von Anfang bis Ende erlebt. Muss allerdings gestehen, dass auch ich Momente hatte, an denen ich mir nicht sicher war, ob ich noch genug Energie zur Verfuegung hab, mir weitere duestere Elemente -musikalisch als auch videografisch - reinzuziehen. War dann aber dennoch froh, beim jeweiligen Act bis zum Ende geblieben zu sein, da sich beim CARETAKER als auch bei NURSE WITH WOUNDS, die Sets am interessantesten gen Ende gestalteten.

Weiter ging es mit FREIDA ABTAN.

Zu ihrer Person sei gesagt das sie eine multidisziplinärere Künstlerin, Komponistin und Wissenschaftlerin ist, mit abeschlossenen Studium der Informatik, bildender Kunst und Elektroakustik. Sie hat eine enge Beziehung mit der spaeter auftretenden Band Nurse With wounds. So lieh sie ihren Gesang den ein oder anderen Track der Band, trat bereits live mit Ihnen auf oder kreierte visual shows fuer NWW.

Heute praesentiert Freida ihr eigenes Projekt mit umwerfend schoenen Visiuals.

Nach eigener Aussage konzentriert sich ihre Audio Arbeit auf die Umwandlung aufgenommener Klaenge mit unterschiedlichen Schichten digitaler Verarbeitung. Während der Ursprung eines bestimmten aufgenommenen Klanges in diesem Prozess verloren gehen kann, werden indessen ganze Familien von verwandten Klängen geschaffen, die sie dann in Reihenfolge nach ihren ästhetischen Eigenschaften zusammensetzt. Hierbei verwendet Freida auch Samples ihrer eigenen Stimme, die dann als kurze verzerrte Aussage an Stellen ihres Sets aufflackern.

Nochmehr als von ihrer Audio Arbeit, war ich allerdings von den wunderschoenen fluiden Visuals ueberzeugt. Eine Junge Frau im weissen Gewand und mit dramatischen Pfauenfederumhang war die Hauptfigur. Die Bewegungen dieser Frau wurden im Video so abgewandelt und verzerrt dargestellt, dass sie perfekt zu Freida's musikalisch abstrakter Traumlandschaft passten.

Danach folgte THE CARETAKER. Hinter diesem Namen verbirgt sich der britische ambient sampler James Leyland Kirby. Sein Buehnenoutfit erinnerte an einen 70er Jahre Glam Rocker - goldenes Glitterhemd, Sakko, Sonnenbrille, mega Lockenmaehne und einer Pulle Whiskey. Er kam auf die Buehne, setzte sich ohne jeglichen Kommentar an der Seite nieder zu seinem Laptop und seiner Technik. Den Auftakt der Show machte ein kurzes geschriebenes Statement, welches dem Zuschauer eine kurze Info zu dem nun folgenden 45min. gab. Ehrlich gesagt, hab ich nur den letzten Satz gelesen in dem Stand, dass der CARETAKER ein Glas Whiskey auf die Zuschauer erhebt.

Dieser Showcase war eher im melancholischen, sentimentalen Bereich angelegt. Das Hauptthema des Videos drehte sich um Erinnerungsschnipsel eines zum Teil durchgezechten Roadtrips durch Europa und fuehlte sich an wie der sehr intime Einblick in das Fotoalbum eines in Gedanken schwelgenden.

All die Ueberbleibsel dieser Reise konnte man in verschiedenen Aufnahmen sehen, welche in der Videopraesentation zusammen gelayert wurden wie aufflackernde Schnipselbilder im Unterbewusstsein eines sich Erinnernden. Da sah man hubesche Maedchengesichter, die er auf seiner Reise sicherlich kennenlernte und die freizuegig in die Kamera sprachen. Dann gab es die Bar-/ Stadt- / Land- und Autobahnaufnahmen eines Reisenden. Alles zusammen praesentierte er mit zur Stimmung passender Musik, welche er aus samples von alten, sentimentalen Records zusammengebastelt hatte. Passend zum Video also. Waehrend dem Grossteil der Performance tat die Person THE CARETAKER eigentlich nicht viel, ausser beim Anblick seiner Visuals gelegentlich gedankenversunken und schwermuetig den Kopf zu schuetteln und kurzweilig, jedoch sehr selten sich seinem Laptop zuzuwenden. Wie im Vorspann bereits angekuendigt schien das wichtigste Accessoires seine Flasche Whiskey zu sein, deren Grossteil er sicher im Verlauf des Auftritts leerte. Es fuehlte sich an als wuerde er auf die guten, alten Zeiten trinken. Wem kann man das veruebeln. Zum Abschluss riss sich Kirby von seinem Sitz los, entledigte sich des Jackets, ging zum Buehnenrand und schmetterte unter dem ein oder anderen Kreischen der Zuschauer in herrlichster elektronisch abgewandelter Stimmlage Barbara Streisand's "The Way We Were".

Diese Performance hinterliess bei den meisten, inklusive meinereiner, eine durchaus nachdenkliche, schwermuetige Laune, was nicht negativ auszulegen ist bei dieser ungeheur intimen und sehr anruehrenden Darbietung. BRAVO!

 

Als wenn's nicht schon genug zu verdauen gaebe folgten nun NURSE WITH WOUND.

Diese aus Grossbritannien stammende und von Steven Stapleton im Jahr 1979 gegruendete Band, wurde im Laufe der Jahre schon einigen Musikgenres zugeschrieben: avant-garde, industrial, noise, dark ambient und drone. Bei aktuellen Aufführungen erforschen Stapleton und Besatzung eher eine Freiform experimenteller Verschmelzung von Elektronik, Tonband und Effekten und erstellen somit eine zutiefst beunruhigende Ambient Atmosphaere. Wie beim Vorgaenger stand bei NWW die Visuals fuer den Zuschauer im Vordergrund. Die 4-koepfige Band im Dunklen auf der Buehne, kaum wahrnehmbar.

Auf der riesigen Leinwand im Hintergrund wurden zum Teil verstoerende Videos gezeigt.

Szenario:
Altmodisches Zimmer - eine Gruppe gleichgueltig umhersitzender Leute - blutverschmierte Waende - aus den Waenden quellendes Blut - von der Decke fallende Eingeweide -

Die Leute sassen teilnahmslos da und wurden mehr und mehr mit Blut verschmiert und wurden somit zum Teil ihrer Umgebung.

- CUT - Ein brennendes Haus, ein Bett mit einem Maedchen, ein gesichtsloser Mann der dieses Bett in Flammen setzte - CUT - auf freiem Feld in slow motion vom Himmel fallende Matratzen.

 Ziemlich ekelhaft mag der eine sagen, defintiv nix fuer Leute mit schwachen Magen. Dennoch konnten sich manche mit gutem Humor nicht helfen um ein leichtes Lachen zu unterdruecken. Das Filmmaterial, so eklig es auch war, so fesselnd war es gleichzeitig. Eine Bandbreite von verwirrenden, fesselnden, ekligen, schockierenden und beruhigenden Bildern. Das Video wurde aber weniger intensiv, als die Band immer dissonanter wurde, mit allen Arten von Gitarre, Bass und Effekten. Griff am Ende zum Mikrofon und performte eine "Rock and Roll Session". Es war ein interessantes, eindringliches Hin und Her der Sinne, so dass man froh war, als alles schliesslich zum Ende kam.

Wie anfangs erwaehnt, kein Abend der leichten Kost, dennoch mehr oder minder verdaulich, konzeptionell packend, schockierend und rueckwirkend betrachtet ein unerwartete Begnung der "anderen Art".

Mir war's ein wenig dumpf im Kopf, schwer ums Herz und ich freute mich nun auf nen Drink und die leichtere tanzbare Nocturne 2.

  

Rueber ging's ins Metropolis, dass sich etwa 5 Minuten zu Fuss vom Monument National befindet.

Dort fand die NOCTURNE 2 - RADICAL CONNECTORS statt. Leider hatte ich dort den opening act des Abends, HRDVSION, knapp verpasst .

 

Ab 23 Uhr uebernahm dort der Brite JON HOPKINS den main room und sollte dem Abend Leben einhauchen. Mit der ueppigen und verführerisch duesteren Musik des Londoners begann fuer mich somit der Abend.

JON HOPKINS ist Komponist und Pianist, der sich selbst die Tricks der zeitgenössischen Studioarbeit lehrte. Im Jahr 2001 veröffentlichte er sein erstes Album, "Opalescent", und hat seitdem zwei weitere Alben veröffentlicht. Sein letztes Werk mit dem Titel "Inside" erschien 2008. Das Album erhöhte Hopkins Status unter Kennern der elektronischen Musik und brachte ihm schließlich einen sicheren Platz beim großen Indie-Label Domino Records ein. Jon's Musikstil wird als eine Mischung der abenteuerlichen Musik Brian Eno's beschrieben und dunklen, gedämpften Rhythmen die an Boards of Canada erinnern.

 

Bei MUTEK stellte Jon mit seinem Set sein Genie und Koennen unter Beweis. Sein Set war von absolut ueberzeugender Art, mit massiven opulenten und komplexen Soundstrukturen, tiefen ergreifenden Basswellen die auf melodisch frikkelige zarte Zwischenlinien trafen. Umwerfend und hynotisiernd gleichzeitig. Ein unglaubliches Meisterwerk eines talentierten Virtuosen, dass fuer mich ueberraschend daher kam. Hatte ich mich am meisten auf den Folgeact MOUSE ON MARS gefreut, kann ich abschliessend nur sagen, dass JON HOPKINS Auftritt eines der grossen Highlights dieses Festivals bleiben sollte und wer die Gelegenheit hat in live zu sehen sollte diese nicht verpassen ;)

 

Wie schon erwaehnt, auf dem Programm standen nun die Altveteranen MOUSE ON MARS. Zu dem Duo gibt es viel zu viel zu erzaehlen, als dass ich je versuchen wuerde, die 20 Jahre Musikgeschichte von MOM hier zusammenzufassen. Wem der Name dennoch nicht gelaeufig ist, dem sei als kurzes Intro der MUTEK Kuenstlertext empfohlen:

"Jan St. Werner und Andi Toma von Mouse On Mars haben in den letzten zwei Jahrzehnten die Entwicklung von einigen der innovativsten und betörendensten Kompositionen elektronischer Musik ausgegeben, und die Welten elektronischer und Rockmusik verbunden. Aus weitgestreuten Einflüssen von Kraftwerk, Brian Eno und Lee "Scratch" Perry, zeigte das Duo in seinen frühen Alben eine Multi-texturierte Fusion von Krautrock und cool post-techno Verfeinerung, die von Kritikern als die Zukunft der abenteuerlichen Home Musik gefeiert wurde . Zu Fans von Mouse On Mars Fans zaehlen einflussreiche Gruppen wie Stereolab und Tortoise, die ähnliche Elemente verwenden, um britischen und US-amerikanischen Rock zu dekonstruieren. Dennoch haben sich Mouse On Mars im Laufe ihrer zehn Alben natürlich drastisch und mit jedem ihrer musikalischenAusfluege weiter verändert und sind weiterhin undefinierbar. In letzter Zeit haben sie wieder rhythmisches Hoheitsgebiet betreten, und ihre Präsentation bei MUTEK 2010 soll als einer der ersten Highlights der jüngsten Neuerfindung des Duos dienen. Gestaerkt nach einer langen Pause, behauptet das Duo "ihren aufregendsten neuen Stoff seit Jahren - möglicherweise Jahrzehnte" im Gepaeck zu haben. In den letzten Jahren habe das spielen zumeist in Clubs, die kreativen Säfte wieder fließen lassen wie heiße Lava. "

Naja, und ein wenig war's dann leider auch wie heisse Lava. Zaehfluessig, nicht explosiv und eher ein wenig desillusionierend. Ich, und mit mir viele andere, hatten sich wirklich sehr auf die beiden gefreut. Schon lange nicht mehr gesehen und gehoert, und nach der grossen Ankuendigung hatte sich eine bestimmte Erwartungshaltung aufgebaut, der Mouse on Mars leider nicht Stand halten konnte.

Ich haette mir MOUSE ON MARS als Hauptact des Abends innovativer und ueberraschend interessanter gewuenscht. Leider konnten sie nicht an ehemalige Shows anknuepfen und bei weitem nicht an den cutting-edge Sound ihres Vorgaengers JON HOPKINS.

Dennoch konnte das Duo das Publikum mit einer Auswahl ihrer Lieblingsmusik und ein paar neuen Tracks aus ihrem kommenden Album erobern. Und die Crowd tanzte mit dem Beat zu diesem Sound von einen der wegweisensten Gruppen der electronica.

 

Dem anschliessend folgte NATHAN FAKE, welcher sich in den letzten Jahren einige Male in Montreal blicken lies. Der aus Norfolk UK stammende Produzent, Live-Act und Border Community Familienmitglied ist hierzulande also keine Neuvorstellung mehr. Euch mag Nathan mit seinem Monster Track "The Sky is pink" bekannt sein, den man schon zu den modernen Klassikern der elektronischen Musik zaehlen koennte.

Nathan ueberzeugte durch sein solides treibendes Live Set, dass aus härteren, geerdeten Klaengen bestand und dennoch schoen verspielt, dichte Nuancen und zeitweise unkonventionellen Rhythmen aufzeigte. Da ich Nathan schon einige Male gehoert und gesehen hatte, zog mich meine Neugier doch ab und zu in Richtung Savoy, dem kleineren aber nicht minder feinerem Raum.

 

Dort waren fuer den Abend BOWLY, CHRIS HRENO und MOSSA and friends am werkeln.

Bowly hatte ich leider verpasst, da mich zu dieser Zeit Jon Hopkins im main room fesselte. Bei einem kurzem Abstecher in Savoy waehrend des MOM Sets konnte ich mich jedoch von CHRIS HRENO's Set ueberzeugen. Der Gute hatte sich als "Ueberraschungsgast" THE MOLE ans Deck gezogen. Die beiden kennen sich schon seit einiger Zeit, verbindet sie doch ein aehnlicher "Werdegang". Beide haben vor ein paar Jahren in Montreal gelebt und sich dann zu neuen Ufern nach Europe (Berlin) aufgemacht.

Man sieht also der Kulturaustausch Deutschland <-> Montreal funktioniert hervorragend.

Desweitern war THE MOLE als Co-Produzent von Chris's 2001er EP taetig. Man sah den beiden ihre Vertrautheit und den Spass den sie heute hatten, an. Das Publikum im nicht ganz gefuellten Savoy bedankte sich und dancte zu CHRIS's Beats.

Ab 00:45 uebernahm Complot label boss MOSSA. Auch dieser hatte Verstaerkung mitgebracht im Sinne von Label Partner Dafluke and Qze. Die 3 jammten "the nigth away" und brachten den Abend im Savoy zum Ausklang.

 

Fazit: Gerade erst Tag 2 - schon viel erlebt und gesehen - schon einige Ueberraschungen erlebt. Also, erstmal ab ins Bett denn es stehen noch 3 intensive Tage bevor.

Bonne nuit et à demain!

 

P.S.: Would like to say thanks to my buddy KOKI from a Japanese webzine, who helped out with some pixx while my camera was not working!

..."

2010 by bullyTM, pics & text by sandra] - powered by STORM Urban Water H2O + ENERGY !





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