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hirsch - nürnberg

16.10.2010

[anm.d.red.:
1. Bild, das; -[e]s, -er [mhd. bilde = bild, gestalt, ahd. bilidi = nachbildung, abbild; gestalt, gebilde
2. bei szenemag für gewöhnlich ohne nachbearbeitung in "reinform". keine verwendung von farb- oder sonstigen filtern, keine manipulation, what you see is what you get! evtl. zu sehende verformungen und lichteffekte entstehen ausschließlich auf grund der gegebenheiten vor ort sowie ggf. unter verwendung eines konventionellen fotoblitzes.
3. die umrandeten fotos sind mit groß-formaten hinterlegt. auf wunsch
mailen wir euch auch gerne die original-größen.]

auch dieses wochenende sorgen wir auf der achse erfurt/nürnberg für bewegung. diesmal unterwegs, der christian.

 

"...

so, es ist soweit - ich komm wieder auf ihn zu sprechen: James Holden! - Doch stopp, James Holden? Geht es hier nicht um… ? Gewiss, doch ein paar nennenswerte Worte über diesen Feingeist sind mehr als berechtigt an dieser Stelle. Denn war er es nicht im Jahre 2005, der den Weg der Hamburger Jungs in das profesionelle DJ-Bizz ebnete, mit einem Signing auf seinem Label - na, aufgepasst? - Border Community!

Und nun komm ich in den Gefallen (bzw. die "Misslage"), abermals meine Gedankenflut an dieser Stelle auf Papier zu kanalisieren - eine Gedankenwelt, ausgedehnter und gestreckter (präsent ist sie ja schon seit langem… gefüttert seitens meiner omnipräsenten, tagtäglichen Musikhäppchen) nach einer feinen Sause letzten Samstag, oder anders formuliert: Nach meiner Rückkehr aus der Extrawelt.

Lasst mich kurz (ja ja… das "kurz" kennt ihr von mir schon…) einleitend weiter ausholen: Generell gibt es - wie ihr sicherlich schon alle erfahren habt - grundlegend unterschiedliche Formen von Feiern zu und mit elektronischer, trackbasierter Clubmusik. Überschlägig kann man gegenwärtig (besonders im letzten Jahre) zwei musikalische "Entwicklungen" einer Nacht ausmachen:

1. Linear.

Die musikalische Darbietung eines Künstlers mit dem Ziel, möglichst bruchlos die Tracks zu einem Großen, Ganzen zu verfugen. Eine Musik, die wie eine Gerade vom Startpunkt aus bis zum erstrebten Ziel Zeit und Raum durchmisst. Ein linear aufgebautes DJ-Set ist vergleichbar mit einem Fernverkehrszug, bei dem sich nach dem Einsteigen die Türen schließen, und die Reise geht los.

2. Nonlinear.

Die Zuhörer sind MG-Feuer-artigen Bombadierungen von wuseligen Knäueln von Sensationen, Brüchen, Rhytmuswechseln ausgesetzt. Eine Abfolge von Schlüsselreizen, Eskalationen, Erruptionen - alles auf maximalem Energielevel. Eine energetische, frenetische, nachdrückliche und vor allem sofortige Anspruchanmeldung auf Abfahrt (Stilrichtungen "Nu Rave", "Electroclash" etc.; "Ed Banger", "Boys Noize" etc.)

Befindet man sich bei ersterem auf einer langen Reise gen selbst-definierter Art von Horizont - wo man nicht mehr aussteigen möchte - ist letztere mit einer offenen Straßenbahn vergleichbar, auf die man bei aller Rasanz problemlos auf- und von der man auch gefahrlos wieder abspringen kann. Beide Arten des Feierns sind toll.

Noch "toller" sind für den allwissenden Szene-Enfant-Terrible - der doch schon "alles erlebt hat"! - aber Partys, wo musikalische Klänge fernab gesteckter Grenzen des Post-Berlin-Minimalismus das Ohr erfreuen. Artists, welche Tonkünste den Freigang zum Publikum gewähren, die man sonst eher selten hört. Musik, dessen Nachahmung andere Künstler unmittelbar als bloßes Imitat darstehen lässt.

Zugegebenermaßen ist die Anhäufung solcher Momente - meinerseits - eher bescheiden, jedoch dafür umso intensiver in der Wahrnehmung (denn wird nicht alles Repetitive im Leben i-wann zur Gewohnheit?), wenn sie denn mal eintreten. Eine Welt zwischen, hinter, unter, über… den Welten. Eine andere, neue, fremdartige, ungewöhnliche, unekannte… Welt. Nennt wie ihr es wollt. Ich nenne es "Extrawelt".

Samstag: Kalendarisch in Mitten des Oktobers, physisch zugegen im Schmelztiegel Hirsch-Rakete, psychisch verschollen in der Extrawelt. Die Protagonisten des Abends hießen uns willkommen im Hirsch Club und warteten mit einem 1 ½ - stündigen Live-Set auf.

Angekommen um kurz nach 12, säumten wir den Hauptfloor, geführt von Nürnbergs-Allzweck-Waffe Micha Klang. Ein solides Set, welches das Publikum schonmal angenehm auf Betriebstemperatur forcierte, die Weichen auf unserem Weg zur imaginären Raketenbasis stellte, um später dann programmatisch in die Hemisphäre abzutauchen.

Der Hirsch erfreut mich jedes mal aufs Neue durch seine ansprechende Aussenraum-Gestaltung, dezent in Szene gesetzt durch farbenfrohe Lichtinstallationen, üppige, künstliche Pflanzen-Vegetationen (Palmen etc.) - und einem Pizzastand. Nun ja, vlt. optisch nicht so stimmig im Ensemble, jedoch immer wieder eine wohltuende Bereicherung für den Magen, vor allem nach der Party.

Bekanntlich soll hier nicht immer alles schön geredet werden, und so bestätigten sich meine Erfahrungen in dieser Nacht im Eingangsbereich: Strenges Türpersonal, oft unfreundliche Securitys. Ich wage zu bezweifeln, dass diese Annahme einzig aus meiner subjekten Wahrnehmung rührt.

Das Publikum ist "Großstadt"-üblich auch stärker durchmischt von oft stark differenzierten, sozialen Strömungen. Verglichen mit dem Publikum erlebter Feiern vergangener Wochen - besonders jene aus dem Osten - kann man schon eine deutliche Abgrenzung ausmachen. Allerdings vorwiegend in negativer Hinsicht, gab es doch viele Proleten und andersartig, negativ-gestimmtes Gesindel.

Aber gut, das hört sich jetzt schlimmer an als es eig. war. Im Endeffekt war es ein großartiges Feierpublikum, und in den meisten Zeitspannen - vor allem während dem Hauptact - war Peaktime angesagt!

Titelheld, 8000, Soopertrack… Extrawelt bedarf keiner ausführenden Worte (ich setze einen entsprechenden Basis-Kenntnisstand unserer Szenemag-Leser einfach mal vorraus, siehe z.b. im review 2007 in erfurt). Ihr nun folgendes Live-Set bestand auch aus solchen Dauer-Burnern und Alltime-Klassikern, mehr jedoch aus eher unbekannterem Material (zumindest für mich…).

Dieses "Material" darf nicht als "lückenfüller-haft" verstanden werden. Alt und Neu bildeten eine harmonische Symbiose und formten eine Welt zwischen den Welten. Kurz gesagt: Fantastische, "entrückte" Soundgalaxien, bestehend aus prägnanten Melodieskulpturen, nie enden wollenden Hallfahnen, weit gestreute Flächen.

Solche, räumlich große Volumina einnehmende, athmosphärische Sounds wurden gezielt gestört, durchbrochen, konterkarriert durch scharfkanntige Effekte, alle frisch aus dem bunten Malkasten der "Midimiliz" (anderes, vorangegangens Projekt der beiden) losgelassen: einen groß, angelegten Gerätepark, über der Tanzfläche ragend.

Es gab eine Menge Höhepunkte, doch besonders das Abschluss-Lied wird noch lange in Erinnerung bleiben: Minilogue - The Leopard, im Extrawelt-Remix und zusätzlich in Live-Umsetzung. Was will man denn noch mehr?! Mit sichtlich, gerührten, mitgenommen Minen verabschiedete sich das Publikum; Extrawelt wurde von der Bühne entlassen.

..."

2010 by bullyTM, pics & text by christian&duke] - powered by STORM Urban Water H2O + ENERGY !





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