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lehmann - stuttgart

19.02.2011

[anm.d.red.:
1. Bild, das; -[e]s, -er [mhd. bilde = bild, gestalt, ahd. bilidi = nachbildung, abbild; gestalt, gebilde
2. bei szenemag für gewöhnlich ohne nachbearbeitung in "reinform". keine verwendung von farb- oder sonstigen filtern, keine manipulation, what you see is what you get! evtl. zu sehende verformungen und lichteffekte entstehen ausschließlich auf grund der gegebenheiten vor ort sowie ggf. unter verwendung eines konventionellen fotoblitzes.
3. die umrandeten fotos sind mit groß-formaten hinterlegt. auf wunsch
mailen wir euch auch gerne die original-größen.]
 

als wenn wir es so abgesprochen hätten, trieben wir uns dieses wochenende alle im "westen" rum. der eine eher im norden und der andere (christian h.) eher im süden. bitteschön...

"... Die Leistung unseres Gehirns ist abhängig von dem, was wir erleben. Das wusste schon Immanuel Kant, als er in der Einleitung seines Hauptwerkes, der Kritik der reinen Vernunft, als ersten Satz schrieb: "Das alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel; denn wodurch sollte das Erkenntnisvermögen sonst zur Ausübung erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren und teils von selbst Vorstellungen bewirken, teils unsere Verstandestätigkeit in Bewegung bringen, diese zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen, und so den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Erkenntnis der Gegenstände verarbeiten, die Erfahrung heißt."

Nach jener wissenschaftlichen These macht somit der Aufbau der Akkumulation - CREATE - LEARN - REALIZE - Sinn. Obgleich der Wortschöpfer doch sicherlich mehr darauf bedacht war, eine "cool"-klingende Wortreihung zu kreieren, als dass einen Bedeutungsgehalt zwischen den Zeilen zum Ausdruck zu bringen. Ich denke mal beides ist gelungen. Wayne!?

CLR = CREATE - LEARN - REALIZE

Im vergangenen Jahr benannte Chris Liebing pünktlich zum Jubiläum und Release der Compilation "10 Years CLR" sein Label "Chris Liebing Records" in eben "Create-Learn-Realize" um. Die Anfangsbuchstaben konnten beibehalten werden, das "Branding" des Banners CLR bleibt bewahrt, und seither lassen sich darunter 10 Jahre Labelgeschichte zusammenfassen. Jahre der Entwicklung, des Fortschrittes, der Erfahrungen, der Erkenntnisse. Heutzutage ist jenes Imprint zu einer der angesagtesten und bedeutensten Trademarks avanciert, wenn es sich um funktionalen, modernen Techno "Made in Germany" handelt.

- C R E A T E -

Es bedarf an dieser Stelle nicht die vollständige Aufklärung und Darlegung des künstlerischen Schaffens eines Chris Liebings (allen voran das Thema mit diesem heutzutage immernoch "anschmeichelnden" Begriff "Schranz"), allerdings ist eine Bestandsaufnahme im Hier und Jetzt erwähnenswert.

Seine Ende 2009 ins Leben gerufene Podcast-Reihe erfreut sich enormer Beliebtheit unter den Techno-Heads und hat erst vor kurzem sein 100.-Ausgabe-Jubiläum gefeiert. Glückwunsch! Nicht zuletzt ist daran Liebing´s enorme Aktionsbereitschaft und Einfühlungsvermögen in der Web 2.0 - Landschaft schuld. Auch das Featuren junger wie "alter" Künstler erregt Aufmerksamkeit und trägt letztendlich auch die Früchte frischer, gewinnbringender Releases.

Allen Voran das Album von Traversable Wormhole ist mit seinen düsteren Ambient-Passagen, alles andere als leicht verdaulich, und die dazugehörigen Remixe brachten im letzten Jahr zusammen, was in den vergangenen Jahren tatsächlich zusammengewachsen ist: Marcel Dettmann, Peter Van Hoesen, Sleeparchive, Surgeon, Function, Terence Fixmer, etc…

Das Projekt "Bauhaus" war im letzten Jahr auch in aller Munde, eine Kollabo zwischen dem Labelboss und dem 24-jährigem Tommy Four Seven. Letzterer beteiligte sich am Samstag auf einem Familienausflug nach Stuttgart, zusammen mit seinen - im übertragenene Sinne - Brüdern, DJ Emerson und Brian Sanhaji.

Der Lehmann-Club, inmitten eines überdachten Vergnügungs- und Einkaufsareals im Herzen Stuttgarts gelegen, hieß die CLR-Family herzlich willkommen. Es sollte in dieser Form einer der größten CLR-Partys überhaupt in der Partygeschichte Stuttgarts werden. Wir nahmen dieses Spektakel zum Anlass, eine Reise nach Stuttgart zu starten.

Am Reiseziel angekommen offenbarte uns ein Bild, welches unweigerlich ein Vorgefühl über das Ausmaß des Besucheransturms bot. Die Menschenmassen waren immens, entsprechend lange musste man in bitterer Kälte ausharren, bis ca. gegen halb 12 der Einlass gewährt wurde. Am Ende befanden sich nach Angaben von Security-Leuten ca. 1200-1500 Menschen im Lehmann-Club, recht ordentlich.

- L E A R N -

Nun, da waren sie also alle schon versammelt, die mittlerwiele eingefleischten Techno-Brüder. Chris Liebing lies noch auf sich warten, sein Gig sollte - wie üblich - den finalen Schlusspunkt gegen 05:00 Uhr setzen. Den Anfang machte - wie zu erwarten - der sympathische DJ Emerson. Im Laufe des Abends machte dieser einen gelangweilten Eindruck, mag dies daran liegen, dass er zum Warm-Up-DJ verdammt wurde?

Nein, das kann man gewiss ausschließen, denn ein Warm-Up-Flair kam zu keiner Zeit in den "frühen" Stunden auf: Die Menschenmassen füllten nach und nach - jedoch recht zügig - den Dancefloor und die Stimmung war schon recht angeheizt. Augenscheinlich befanden sich die "richtigen" Feierleute in diesem Gebäude, welche dem CLR-Sound würdig tragen konnten. Somit durfte sich DJ Emerson auch an einem regen Anstrum an Tanzenden erfreuen und sich in einem stimmungsvollem Ambiente wiegen.

Freilich herrschte zu jener Zeit noch kein Ausnahmezustand, dieser sollte sich aber Schritt für Schritt seinen Weg in die Gemäuer des Lehmann Clubs bahnen. Schritt für Schritt - Act für Act. Nun war der, bereits weiter oben erwähnte, Tommy Four Seven an der Reihe. Besonders jener Knabe ist ein geschätzer und wichtiger, wenn nicht der wichtigste Schützling eines Chris Liebing.

Eine gemeinsame Kollaboration mit Liebing im Studio mag schon was heißen. Das letzte größere Projekt war die "Collaps"-Reihe im Zusammenspiel mit einem weiteren, großen Heronen: Speedy J. Nun bewegen sich der blutjunge Engländer und sein Meister Hr. Liebing auf tiefgründigen Abwegen in der Technik-Wuselei im Studio, um gemeinsame Sache mit ihrem "Bauhaus"-Projekt zu machen. Und das ziemlich erfolgreich.

So erfolgsversprechend, dass Tommy Four Seven in Anlehnung an das Bauhaus-Projekt - starke Einbeziehung von Field-Recordings-Aufnahmen in den Produktionsprozess - ein Album namens "Primate" dieser Tage herausbringt. Mit dem Schulterblick und stellenweise Hilfestellung - das Einarbeiten der Kickdrums in die wogenden Basswellen - eines Chris Liebings darf man spannend ein Album erwarten, was gänzlich ohne den sonst üblichen, perkussiven Schnickschnack/herkömmliche Schlaginstrumente wie Becken, Rasseln oder Zimbeln auskommen wird.

Back 2 Party: Tommy Four Seven knüpfte harmonisch an den Sound von Emerson an und steigerte nochmals die Intensität. Eine sichere Bassline, alles im Fluss, alles im Takt. Abfahrt! Der Lernprozess im Hause CLR trägt augenscheinilch Früchte, denn auch seine Erscheinung hinter den Reglern ist mindestens genauso wohltuend anzuschauen, wie die Figur eines Hr. Liebings.

Kommen wir zu einem meiner persönlichen Highlights dieses Abends: Das Live-Set von Brian Sanhaji! Gekonnt und souverän handwerkelt er an seinen Reglern herum, und was dabei herauskommt, ist wahrlich ein vorzüglicher Ohrenschmaus: Absolut, i-wo logische Abfolge von Bassline-Schichten, akzentuiert in ihrer Intensität, Geschwindigkeit und Taktgebung, sensibler, durchdachte Zugabe prägnanter Samples und Effekten. Alles nach dem Schema: Spannung aufbauen - Spannung halten - Höhepunkt andeuten - Höhepunkt-Entladung - Spannung herausnehmen… und so weiter. Ein rundum schlüssiges, treibendes Set mit dem goldenen "Partysiegel". Made by Brian Sanhaji Recordings, Geprüft durch geschätzt 1000 Leute auf dem Dancefloor. Prüfung erfolgreich bestanden!

- R E A L I Z E -

Als ob der Verlauf des Abends nicht schon glücksbringend genug war, sollte noch was obendrauf gesetzt werden. Abermals eine gehörige Portion Techno in seiner reinsten, funktionalsten Form. Für solchen Sound ist die installierte Sound-Anlage im Lehmann Club besonders geeignet, setzt sie doch die Bassschläge prägnant und druckvoll in den Raum. Also: Lob an das Soundsystem.

Gab es überhaupt etwas nicht so Gelungenes? Ja, meiner Ansicht war dies die Ausführung der "optischen Untermalung" des Ganzen, sprich: die Visuals. Diese versprachen nicht das, was Im Preview-Text auf der Homepage angekündigt wurde: Eine ausgefeilte, augenscheinlich perfekt auf den CLR-Sound abgestimmte Lichtinstallation. Die lichttechnische Inszenierung war eindeutig zu schwach und schlichtweg zu wenig, um die Erwartungen nach solch Worten befriedigen zu können.

Aber, auch hier wieder: Wayne?!? Lapidar ausgedrückt: Sch*** drauf! Nicht gerade viele werden dieses Faktum mit einem weinenden Auge begegnet sein. Und mal ganz nebenbei: Der Club ist gar nicht darauf ausgelegt Raum für ein großes Licht-Spektakel mit Reizüberlutung zu bieten. Zu niedrig-geschossig, langgestreckt und meiner Ansicht nach "ungünstig organisiert". Und vor allem leistet der CLR-Sound alleinig vollen Beitrag für die allseits ersehnte, innerliche Erfüllung!

Chris Liebing. Genug Zeilen geschrieben über diese Galionsfigur. Zugegebernmaßen haben mich seine Sets in letzter Zeit nicht mehr so stark wie "einst" mein Tanzbein schwingen lassen, zu monoton das ganze. Erfreulicherweise wurde ich dieses mal eines besseren belehrt und durfte eine ziemlich disparate - im positiven Sinne - Darbietung erleben.

Besonders erfrischend so manch Weichenstellung in Richtung vertrackter, dubbiger Gefilde, also weg vom straighten, geradlinigen 4/4-Takt. Das schafft ungemein Abwechslung und Überraschungsmomente. Da kann dann auch ein Tommy Four Seven nicht mehr still sitzen und schafft es nur mühselig, nicht voll und ganz den Partylöwen in ihm ausbrechen zu lassen.

Und was nehmen wir nun mit? Subjektiv betrachtet eine impulsive, spaßige Partynacht mit daraus resultierender innerlicher Befriedigung, objektiv betrachtet die Erkenntnis, dass die Marke CLR weiterhin als DIE Blaupause dient für "ehrlichen", modernen Techno und eine - ohne Zweifel - Bereicherung für die Technowelt in Deutschland und darüber hinaus darstellt. Das belegen nicht zuletzt die unzähligen Top-Rankings von Jahres-Polls in mehr oder weniger repräsentativen Szene-Zeitschriften wie Groove, Raveline, De:Bug usw…

Create: Techno

Learn: strikes

Realize: back!

.."

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