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melt! festival

ferropolis - gräfenhainichen

15.+16.07.2011

[anm.d.red.:
1. Bild, das; -[e]s, -er [mhd. bilde = bild, gestalt, ahd. bilidi = nachbildung, abbild; gestalt, gebilde
2. bei szenemag für gewöhnlich ohne nachbearbeitung in "reinform". keine verwendung von farb- oder sonstigen filtern, keine manipulation, what you see is what you get! evtl. zu sehende verformungen und lichteffekte entstehen ausschließlich auf grund der gegebenheiten vor ort sowie ggf. unter verwendung eines konventionellen fotoblitzes.
3. die umrandeten fotos sind mit groß-formaten hinterlegt. auf wunsch
mailen wir euch auch gerne die original-größen.]

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melt! festival

ferropolis - gräfenhainichen
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melt 2007 samstag
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melt! 2002


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melt! 2008

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melt! 2008

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melt! 2008

sonntag

melt! 2008

sonntag - sleepless

melt! 2008

faces


christian h. hat dieses jahr einen straffen zeitplan und immer die digi-camera dabei! gut so! vielen dank für soviel arbeitseinsatz für ruhm & ehre! hier seine sicht aufs melt-festival...

"... im wollig-warm umschmeichelnden Groove-Teppich längst von Kopf bis Fuß eingehüllt, entschloss ich mich, die Big Wheel Stage - in Sachen "Elektronikmusik in Reinkultur" - wohl die beste Auswahl an Stage, die es in unserem kollektivem Wochenend-Delirium zu finden gab - nicht zu verlassen.

Isoleé war an der Reihe, er und - WIR - standen mitten im Epizentrum dieses erhabenen Ortes. Ein Ort, welcher seit Stunden eine spirituelle Balsamierung in Form von Dial´sche Minimalkost (Pawel, Lawrence ("Until Then Goodbye", 2009), John Roberts (Glass Eights, 2010)….) mit letztendlich den beiden vorangegangenen Acts - Redshape bzw. "Palisade" und den Karlsruhern Amé - und sommerlichen Abendrot-Romantik wie im Bilderbuch erfährt.

Es gab beim besten Willen keinen Grund diesen emotional aufgeladenen - RAUM - zu verlassen. Aber die Entscheidung fiel gewiss mühseliger aus, wenn der Faible für Indierock etwas stärker ausgeprägt war: "The Streets" bestritten in diesen Minuten gerade ihren Auftritt auf der Bench Main Stage. Wohl DIE Headliner des gesamten Festivals. Aber eben zum Glück nicht für mich, so konnte ich mit leichteren Gewissen die Stellung vor Isolee halten. Zu betonen: Physisch. Psychisch sollte man sich schon leicht ins "Jenseits" gerückt haben, so "qualitativ wertvoll" wie die Big Wheel Stage war dieser Sound des Wahl-Hamburgers Isoleé.

Und obwohl "vordergründig" nicht die Welt von der Empore der Stahl-Gerüst-Bühne uns entgegenschallte, rabaukte und pollterte es in den Tiefen ungemein. Unter der Oberfläche eines seichten Beat-Netzes sollte es für den Kenner keine großen Anstrengungen bedeutet haben, den Mehrwert solcher Musik für sich herauszufiltern. Unterschwellig, auf introvertierte Weise in den Dialog mit dem Publikum treten, dass ist eine wahre Kunst. Wenn dieser Genius wie in diesem Fall aufgeht, zeugt das von nicht weniger als Souveränität, künstlerischem Anspruch, Fortschrittsgeist.

Wenn dann über die gesamte Dauer eines gewöhnlichen Techno-Tracks das Setup die Grätsche bekommt und das Lied wie im Leierkasten vor sich hin kriecht, tut das nichts zur Sache bei. Im Gegenteil spricht dies nur für die Authentitzität des Künstlers, denn nichts ist perfekt. Isolee at it´s best.

"Quality knows no genre" - das dachte sich wohl auch Stefan Kodzalla alias DJ Koze, und verpasste der ohnehin schon besonderen Athmosphäre einen ordentlichen Schub nach oben. Ehe man sich verHÖRTE, war man schon wieder im Beatgestrick - nun forscher, genreübergreifender (dub, rave, hiphop) und technoider - gefangen, so dass man die potentielle Überlegung - Stage verlassen: JA/NEIN? - mit Leichtigkeit "übertanzen" konnte. Und dank der unnachahmlichen Spürnase Koze mit der Erfahrung um den rechten Zeitpunkt eines Klassikers, war man spätestens mit dem Track "Small Pebbled Forrest" von Fesse Somfay ("The Sound of the 7th Season" lässt grüßen, 2005) gnadenlos verloren Rave-Irrsinn.

Ein Blick auf den Timetable sollte dann doch für Mageverstimmung sorgen: Habe ich denn nicht gerade "Sbtrkt" auf der "Melt! Selektor - Stage" verpasst?! *SCHLUCK* Von renommierten Printmedien in aller Munde und mit seinem aktuellen, gleichnamigen Album hoch umfeiert, sahen sicherlich viele diesem Act entgegen. Es sollte für jedermann Ansporn genug sein, im Vorfeld zu lesen, diese LP sei vergleichbar und ggf. noch höher zu bewerten als das letztjährige Album "Swim" von Caribou!

Diesen dub-getränkten Elektronik-Pop mit Disko-Note, wofür der recht junge Mann im Bizz steht, hatte man sich sicherlich noch im Verlauf des Wochenendes an anderer Stelle hören können. Auswahl gab es genug. Und das ist eben gerade das fürchterliche Problem. Nun wieder die Qual der Wahl: Rusko oder Atari Teenage Riot?! Nehmen wir Rusko mit, wenn auch nur ansatzweise. Im Punk-Metall-Rave-Sirenen-Gewitter wäre es ohnehin unmöglich gewesen, vernünftige Bilder von Alec Empire und seinem neu formierten Clan zu knipsen. Ich redete es mir ein… (diese Band übrigens das genaue Gegenteil von "unterschwellige Message-Bekundung" in der Musik)

Rusko. Das heißt: Wuchtiger Electro mit maximaler Rave-Wirkung. So wuchtig, dass es scheint, die tieffrequenzigen Basswellen schlagen die dicht-versammelte Meute auf der Melt!-Selektor-Stage so weit gen Ferne, dass an oberster Bar des Hügels - ca. 50Meter der Bühne entfernt - vor lauter elektrisierenden Menschen kein Durchkommen mehr ist. Ja, es sei dem Minimal-Verfechter genehmigt: Kinnlade fallen lassen und staunen. Es geht auch anders. Und wie!

Der Engländer Chris Mercer (mit Universitätsabschluss (!)) spielte 2006 mit Caspa ein Live-Set ein, zu Gunsten keiner geringeren Mix-Compi als die ehrwürdige Fabric-Serie. Nach der Veröffentlichung dieser (Fabric Live 37), geht es für den Briten steil nach oben. Im vergangenen Jahr kam sein Debutalbum "O.M.G.!" heraus, allerdings nicht auf einem britischen Label, sondern bei Mad Season, dem Imprint des in Philadelphia ansässigen Produzenten Diplo.

Wohl wenige Acts mit solch einem impulsiven, energetischem Ganzkörpereinsatz gab es auf dem Melt!-Festival zu bestaunen. Rusko besiegelt entgültig den hohen Anspruch an Künstlerangebot mit Qualitätssiegel der Melt! - Selektor - Stage. Ein Hoch auf Modeselektor, die sich u.a. für das Booking verantwortlich zeichnen und die nach Siriusmo ("Mosaik", 2011) den ganzen Wahnsinn zum Ende brachten. Und schon wieder ein bitterer Beigeschmack für mich, denn dies bekam ich ebenso wenig mit.

Nach Rusko machte sich in mir die Laune nach geschmeidigen, linearen Groove breit (die "Four-to-the-floor - Bestimmung schlummert tief…). Schwindelig vom Rave-Feuerwerk zog es mich auf einen der wohl schönsten, "underground"-affinen Stages überhaupt: Dem Sleepless Floor. Wie der Name schon sagt, der einzige Ort, der ab Samstag Morgens bis Montag Mittag die Party fliegen lässt. Diese Lokation bot Labelshowcases in Hülle und Fülle, zu jener Zeit - Sonntag morgen um 02:00 Uhr (erst…) hielten die Stroboscopic Artefacts - Heads das heilige Zepter bzw. heiligen Controller in der Hand.

Man mag es evtl. erahnen (in Anbetracht ausschweifender Kummulation von Verherrlichungen und Superlativ-Ausschmückungen der letzten Absätze), aber wenn es doch so ist: Was sich mir gegen 03:00 Uhr Samstags auf dem Sleepless - Floor bot, war "überrationaler" Techno. Techno, welcher ich in dieser speziellen Ausprägung noch nie (!) zu hören bekam. Ja, ich bin selbst auch überrascht, wie man doch immer und immer wieder mit neuheitlicher Musik vor den Kopf gestoßen werden kann.

Stroboscopic Artefacts . Frisch geboren in der Mutterstadt des Technos - Berlin - von Luca Mortellaro alias "Lucy" ("Wordplay for Working Bees", 2011), gehört es in heutigen Zeiten zu den stilprägensten Berliner Labels, straigthem Technos. Dieses Imprint bestätigt um ein mehrfaches die erlesene Auswahl des Bookings für hiesige Stage.

Ja nun, wie soll ich es formulieren? Dadub - ein 2-Mann-Künstler-Kollektiv - meiselten behutsam aus ihren Live-Controllern eine Klangwelt heraus, in die es einzutauchen galt mit der Hoffung, aus dieser nie mehr entschwinden zu müssen. Kollosale, ätherische Soundscapes umhüllten kontinuierlich die ohnehin schon entrückte Örtlichkeit - ein tristes, verfallenes Beton-Gebäude im puren Mondschein, deren raue Oberfläche staffiert durch die Wolken-Shiluetten am glasklaren Nachthimmel -, es dauerte nicht lang, so schwebte man auf den scheinbar endlosen Bahnen, welche das Bassgerüst mit eingebetteten Hall-Flächen zu bilden vermochte. Zum Mond hin und wieder zurück. Zur Bench Main Stage hin und wieder zurück. Wenn man wollte, war man überall. Der Fantasie ist keine Grenzen gesetzt. Willkommen inmitten des TECHNO, inmitten genau DEM Gefühlszustand, welcher es gilt, auf jeder Techno-Party der Welt für sich zu finden.

Die unzähligen, geometrischen wie organischen Konturen mit den sich fortwährend ausdehnenden Raum der Fiktionen beseelte den Sleepless Flour bis in die frühen Morgenstunden. Für meine persönliche Komplettierung meines Samstag Spätnachmittag/Abend/Nacht/Sonntag-Nacht/Morgens-Mammutprogramm zog ich es jedoch vor, gegen 4 Uhr die Stage zu switchen. Zurück zu den Anfängen, zur Stage unter dem Big-Whell-Braunkohlebaggers (wobei sich das Wort "Bagger" im Falles des Melt! zu kindergartenhaft anhört…).

Als ob sich unter den Feiernden nicht schon genug Verwirrung im Verlauf der Nacht breit machte, musste die Mannen um Kompakt-Mastermind Wolfgang Voigt noch eins drauf setzen: Michael Mayer ("Immer I", "Immer II", "Immer III"), Superpitcher ("Kilimanjaro", 2010 - debug: "Kilimanjaro ist voll von verschmitzen Popideen, die konsquent auf 8-Minuten-Epik gestreckt werden" (mir ist grad wieder warm ums Herz…)) und Tobias Thomas - firmierend unter dem Banner "Total Confusion" setzten mit ihrem ganz eigenen Verständnis des Cologne-Sounds den finalen Schlusspunkt einer langen Partynacht.

Ich denke ich erspare mir die Worte, den Hergang jener letzten 3 Stunden kann man sich an 5 Fingern abzählen. Allen voran unter Berücksichtigung des Aspekts der aufgehenden Sonne in den frühen Morgenstunden (auch wenn sie letztendlich leider ausblieb…), was stets einen sicheren Mehrwert für eine Feierei bedeutet. Kompakte Musik, Kompakte Stimmung, Kompakte Atmosphäre. Danke Kompakt!

Eine Nacht haben wir Review passieren lassen. Der ganz normale Wahnsinn des alljährlichen MELT!-Festivals in Ferropolis bei Gräfenhainichen, Dessau. Kaum sind die Spuren des Sputnik verwischt, durchziehen kurz darauf noch größere die weiten Wiesenflächen vor der ehemaligen Braunkohle-Tagebauwerk Ferropolis, wenn 25000 Menschen (davon gefühlt > 12500 Menschen aus Holland!) ihre Zelte aufschlagen.

Die Kulisse mit den Stahl-Relikten vergangener Zeiten, ruhend auf der topografisch-differierenden-Halbinsel Ferropolis ("Die Stadt (!) aus Eisen") umgeben vom satten Blau des Gremminer Sees, bilden eine Festival-Szenerie wie sie erleuchtender (besonders Nachts, wenn so ziemlich alle Ecken und Kanten des Geländes mit ausgeklügelter Lichttechnik illuminiert werden…) und ansprechender kaum sein könnte. Zusammen mit anderen Aspekten wie Line-Up, Publikum, Organisation, Politik usw. ist es nicht verwunderlich, dass das Melt! schon mit einigen Awards ausgezeichnet wurde (z.B. "Live Entertainment Award" als "Bestes Festival 2009").

Aus meiner persönlichen Sicht bzw. "Debüt-Rezension" kann ich behaupten, eines der am besten organisierten Festivals mit ambitioniertestem Line-Up zwischen Indie, Elektro, Punk, Elektronika, Pop/Rock, Minimal, Ambient, Dubstep, Drum & Bass, New Rave und alle dazugehörigen Sub-Sparten erlebt zu haben. Pop verschmilzt mit Subkultur und Gitarrenriffs erweitern Techno-Beats, eine gewinnbringene Symbiose, keine negierende (welche Deutung ich lange Zeit selbst vertrat…)!

Ferropolis wird für mehrere Tage zum Mikrokosmos, ein Mikrokosmos auf einem anderen Planeten. Ausserirdisch, wenn die Stahlgiganten in ein Meer aus Licht tauchen, verschiedenste Melodien das klug-separierte Areal erfüllen, der Rhythmus omnipräsent pulsiert, strahlende Gesichter die Welt beehren. Jene Begebenheiten auf der Insel mit den unzähligen, tausenden Anektoden auf dem Zeltplatz und Umgebung - eben all die Crazyness eines gewöhnlichen Mehr-Tages-Festival - bescheren vielen Besuchern die schönste Zeit im Jahr.

Zum Reflektieren und "Klug-werden" zusammengefasst ein paar Auszüge meinerseits:

- Freitag Abend, 22:30 Uhr: Apparat mit seiner Band auf der Melt!-Selektor-Stage. Zu hören: Sayulita - live versteht sich. Später dann: Rusty Nails mit vorangegangener Danksagung, ihren Act im Jahre 2011 bei guten Wetter geben zu können (erinnere: 2009 Moderat-Gig-Absage aufgrund Unwetter).

- Darauf folgend: Gold Panda. Ohne Worte. Plz. check WWW.

- Den Stimmen nach zu urteilen war Nicolas Jaar am frühen Freitag Abend ein Gewinner der ersten Nacht auf dieser Stage.

- Abermals Big Wheel Stage: Radio Slave Vs. Carl Craig, darauf folgend: Gui Boratto. Der allg. Meinungsäußerung schlussfolgernd dürfte letztgenannter Act neben Boys Noize den Höhepunkt der ersten Nacht des gesamten Festivals dargestellt haben.

- Auch erhaben: Tensnake im Gemini Stage - eine der wenigen überdachten Stages auf dem Gelände. Gar nicht auszudenken mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages ein "Coma Cat" o. ä. von diesem Disco-Junkie zu hören…

- Der Uncanny Valley - Label-"Morning" Samstag Vormittag bei strahlendem Sonnenschein und vollem Sleepless-Floor. Den Groove im Blut, Disko in den Adern und House in der Seele, Dresdner "House"-Manier in Perfektion!

- Ostgut-Ton-Heerschar mit Marcel Fengler, Barker & Baumecker live, Ben Klock und Marcel Dettmann auf der Big Wheel Stage.

- Supplement-Artefacts-Taktgeber Guy Gerber mit Minus-Kopf Richie Hawtin, welcher in einem Finale furioso das offizielle Programm der 14. Austragung des Melt!-Festials ein Ende brachte. Die Stimmung im Publikum unermesslich groß, das Melt!-Feeling ungebrochen. Wie würdet ihr euch fühlen, inmitten eines Loop-Techno-Sets eine unheimliche Stille auf dem Gelände erleben zu müssen, mit dem Track "Ashes from Evermore" von Gregg Kowalsky im Alva Noto - Mix (Balance 016 von Agoria lässt grüßen)? Gänsehaut.

- und nicht zu vergessen: Die letzten beiden Stunden Montag Morgen mit Kiki und "Kuriose Naturale" auf dem Sleepless-Foor. Blasen an den Füßen, Dreck unter den Nägeln, Schweiß auf der Stirn, Müdigkeit im Gesicht und: Opulente Bewusststeinsveränderungen in der Techno-Musik und allergrößte Befriedigung in den entlegensten Winkeln unserer Seele. Danke MELT!!

..."

2011 by bullytm, pics/text christian h.] - powered by STORM Urban Water H2O + ENERGY !





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